Energie aus Abwasser und Abluft für 99 Wohnungen.
Eine neue Technologie, erfolgreich angewandt im geförderten Wohnbau in Salzburg-Aigen, könnte ein starker Hebel zur Lösung unserer Energieprobleme werden. Die plage News (Ausgabe 3/2022) waren auf Lokalaugenschein und sehr beeindruckt.
Stellen wir uns einmal vor, wie viel warmes Abwasser aus Duschen, Küchen, Geschirrspülern, Waschmaschinen usw. ununterbrochen ungenutzt in den Kanälen unserer Dörfer und Städte verschwindet. Stellen wir uns zusätzlich vor, wie viel erwärmte und verbrauchte Raumluft über Millionen Fenster und Lüftungsanlagen ständig ungenutzt ins Freie strömt.
Und dann stellen wir uns vor, dass es engagierten Technikern, Architekten und Bauherrn gelungen ist, im Kostenrahmen des geförderten Wohnbaus eben diese ungenutzte Energie einzufangen und für Beheizung und Warmwasser zu nutzen.
Unglaublich? Gibt’s nicht?
Doch! So geschehen in einer Siedlung der gemeinnützigen Wohnbaugesellschaft „Heimat Österreich“ in der Friedrich-Inhauser Straße in Salzburg-Aigen.
Bei der Siedlung aus den 1980er Jahren war eine Generalsanierung fällig geworden. Diese bot mit einer Nachverdichtung von 75 auf 99 Wohnungen und Aufstockung in Holzbauweise auch die Gelegenheit, die Energieversorgung auf ganz neue Beine zu stellen. Bis dahin waren die Wohnungen mit Gas – zum Zeitpunkt des Umbaus noch die billigste Energie! – versorgt. Aber, so Dietmar Stampfer, Geschäftsführer der planenden Firma ECA, “energy consulting austria“: „Wir wollten keine fossile Energie mehr verwenden“.
Die neue bereits mehrfach ausgezeichnete nachhaltige Energieversorgung der Siedlung ruht auf drei Säulen. Die plage News durften es sich vor Ort vom planenden Energietechniker Dietmar Stampfer zeigen lassen. Vorweg: Wir waren schwer beeindruckt und hoffnungsvoll gestimmt. Es gibt Lösungen! Es gibt gute Technik! Es gibt Freude daran!
Vom Gas zu drei Säulen nachhaltiger Energie
Die Siedlung mit 99 Wohnungen und rund 250 BewohnerInnen produziert täglich rund 30.000 Liter Abwasser, das im Durchschnitt 23 Grad warm ist. Dieses Abwasser wird in einem großen Tank mit 25 Kubikmetern Fassungsvermögen mittels Wärmetauscher und Wärmepumpe auf 5 Grad gekühlt und erst dann in das Kanalnetz entlassen. Die dadurch rückgewonnene Wärme (Energie) wird in einen 25.000 Liter fassenden Pufferspeicher geleitet und steht zur Verfügung. 40 Prozent des Warmwasser- und Heizbedarfs der Siedlung werden so gewonnen.
Als zweite Säule wird die warme, verbrauchte Raumluft genutzt. Eine zentrale Entlüftung bietet die Möglichkeit, ebenfalls mittels Wärmepumpe, Energie aus der Abluft zu gewinnen. Diese Energie landet ebenfalls als warmes Wasser in dem großen Pufferspeicher und steuert weitere 35 Prozent des Bedarfs bei.
Damit kommen sensationelle 75 Prozent der gesamten benötigten Energie für Warmwasser und Heizung aus der Rückgewinnung von Wärme aus Abwasser und Abluft. Die Energiequellen Abwasser und Abluft können nicht eingespart werden. Sie werden als unmittelbar mit dem Alltagsleben verbundene Energien immer weiter sprudeln.
Erst dann kommt ein üblicher Pelletskessel zum Einsatz, der die restlichen 25 Prozent der benötigten Energie bringt.
Eigener Solarstrom und ein hoher Standard bei der Gebäudeisolierung verstehen sich bei einem solchen Projekt quasi von selbst. Im Sommer wird mit dem neuen Energiesystem viel mehr Wärme gewonnen, als benötigt. „Wir könnten noch locker einen großen Pool beheizen“, verdeutlicht Stampfer die Dimensionen.
Anwendbar in jeder größeren, dauernd bewohnten Siedlung
Das innovative neue System verursachte Mehrkosten von rund 150.000 Euro. „Bei den heutigen Energiepreisen ist das in vier Jahren zurückverdient“ ist Stampfer sicher. Es ist ihm wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese Mehrkosten weder beim Bauherrn noch beim Architekten der Wohnanlage jemals ein negatives Thema waren: „Wir waren uns einig, ohne fossile Energie auszukommen, und alle Partner waren für die dazu nötigen Innovationen offen.“
Die Frage drängt sich auf. Wenn ein so effizientes System so günstig, so einfach und ohne jeden Komfortverlust im engen gesetzlich vorgegebenen Kostenrahmen des geförderten Wohnbaus heute realisierbar ist, warum dann morgen nicht überall?
„Grundsätzlich“, so Stampfer „ist die Wärmerückgewinnung aus Abwasser in allen Siedlungen ab rund 40 Wohnungen anwendbar, im Neubau und bei Sanierungen. Die Wärmegewinnung aus Abluft bräuchte noch weniger Wohneinheiten. Es gibt keine Geheimnisse. Das Projekt wird wissenschaftlich begleitet. Der gesamte Prozess und die Technik sind öffentlich. Voraussetzung ist nur eine dauernde tatsächliche Bewohnung. Bei Zweitwohnsiedlungen würde es nicht funktionieren.“
Thema der Politik, der Medien und konkret in der Wohnbauförderung!
Wie könnte bei derart optimalen Voraussetzungen die Anwendung dieser neuen Technologie angesichts von Klima- und Energiekrise die notwendige Verbreitung finden? Die mediale Aufmerksamkeit, insbesondere auch aus Deutschland, für das Projekt in Salzburg sei bereits so groß, dass man es als kleine Firma gar nicht mehr bewältigen könne, berichtet Stampfer. „Das ist erfreulich und hoffentlich kein Strohfeuer.“ Um die Anwendung breiter auf den Boden zu bringen, sei aber auch politisches Handeln notwendig. Stampfer konkret: „Ein erster Schritt vor Ort wäre, dass die Rückgewinnung von Energie aus Abwässern und Raumluft in die Landes-Wohnbauförderungen aufgenommen wird.“
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