Wir waren viele und laut. Am 5. und 6. Juli 2022 kamen Hunderte von AktivistInnen aus aller Welt in Straßburg zusammen, um vor dem EU-Parlament ein klares Zeichen für eine Energieversorgung ohne Angst und Klimaschäden zu setzen.
Der letzte Tropfen auf den heißen Stein war ein Webinar der Fridays for Future Deutschland. VertreterInnen wie Luisa Neubauer, Louis und Annika riefen dazu auf, nach Straßburg zu kommen. Eine weite Reise, für mich und meine 4-jährige Tochter. Und die einmalige Gelegenheit, einen meiner Arbeitsschwerpunkte der vergangenen zwei Jahre endlich auf die „Straße“ zu bringen, zu protestieren. Wann, wenn nicht dann?
Wir fahren nach Straßburg. Am 6. Juli wird das EU-Parlament mit einem JA oder NEIN über die Vorlage der Kommission abstimmen, ob Atomenergie und Erdgas europaweit als „grüne Übergangstechnologien“ eingestuft werden. Greenwashing, das seinesgleichen sucht.
Atomenergie, eine klimafreundliche Notwendigkeit? Eine extrem teure und gefährliche Risikotechnologie, die durch die Auswirkungen der Klimakrise, wie etwa Wasserknappheit, selbst vor extremen Herausforderungen steht, so kontern wir. Atomenergie, eine Notwendigkeit für die Versorgungssicherheit in Europa? Ein sicheres, nicht-versicherbares Angriffsziel mit großflächigen Auswirkungen für Mensch und Umwelt, halten wir dagegen. Auf der Straße stehen wir uns gegenüber, die GegnerInnen und die (häufig bezahlten) BefürworterInnen der Atomenergie, dazwischen die Polizei. Wir schwenken unsere Fahnen, sprechen mit Abgeordneten des EU-Parlaments und werden laut als Sprechchor. Wir singen, tanzen und geben Interviews.
Das EU-Parlament stimmt schließlich dafür: Atomenergie und Erdgas werden in die EU-Taxonomie* aufgenommen und gelten in Zukunft als grüne Wirtschaftstätigkeiten. Das heißt, sie werden fortan auf dem Finanzmarkt begünstigt. Einige von uns haben es direkt in den Parlamentssaal geschafft und rufen laut „Verrat“, bis sie von Securities in Anzügen unsanft abgeführt werden. Verrat an einer menschen- und umweltfreundlichen, demokratischen, unabhängigen und dezentralisierten Energiezukunft. Ich blicke auf meine Tochter. Ich bin niedergeschmettert… und angespornt zugleich.
Wir fahren alle gemeinsam zurück ins Camp. Dort ist es friedlich. Es tut mir gut, in der Gemeinschaft zu sein und die Tage zu reflektieren. Es macht mir Hoffnung, dass es Widerstand gibt – über Kontinente und Generationen hinweg. Das letzte Wort über die Energien der Zukunft werden wir sprechen.
* Die „Taxonomie“ ist ein europaweites Gütesiegel, das Finanzströme in nachhaltige Bahnen lenken soll. Der Anspruch ist eine Klassifikation wirtschaftlicher Aktivitäten nach ökologischen Standards, um Investitionen in „grüne“ Wirtschaftsbereiche (die beste Kategorie) anzukurbeln und sicherzustellen.
Fotocredit: unknown / Julia Bohnert und ihre Tochter bei der Demo in Straßburg
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