GB: Zivile Atomnutzung als Deckmantel für militärisches Atomwaffen-Arsenal

Beim ersten neuen Atomkraftwerk in Großbritannien seit über 20 Jahren geht es nur nebenbei um die Stromversorgung. Tatsächlich ist Hinkley Point C (HPC) ein militärisches Projekt, das für die Erneuerung des britischen Atomwaffenarsenals wichtig ist. Das zeigt eine Studie des Science Policy Research Unit (SPRU) der Universität Sussex. Sie wirft zugleich Fragen auf nach einem „Staat im Staat“, nach Transparenz und Demokratie in Großbritannien.

Just als der AKW-Neubau Hinkley Point C Licht von der britischen Regierung May Mitte September (erneut) grünes Licht erhielt, zeigt eine Studie des Science Policy Research Unit an der Universität Sussex, dass und wie eng das starre Festhalten britischer Regierungen an Atom-Unterseebooten mit einer durchgängig proatomaren Energiepolitik zusammenhängt. 

„Kosten der Atom-U-Boote hinter ziviler Atomnutzung verstecken“

Zwei parallele atomare Richtungsentscheidungen. Die Erneuerung der nuklearen Abschreckung wurde Mitte Juli 2016 von May-Regierung und Parlament beschlossen. Premier Theresa May am 18.7.2016 pathetisch im britischen Unterhaus: „Seit fast einem halben Jahrhundert patrouillieren die U-Boote unserer Königlichen Marine Tag für Tag, rund um die Uhr, in den Ozeanen, unsichtbar und unentdeckt, voll bewaffnet und stets bereit – unsere ultimative Versicherung gegen einen Atomangriff.“ Die Rede ist von den 160 Atomsprengköpfen Großbritanniens, montiert auf Trident-Interkontinentalraketen, verteilt auf vier atomgetriebene U-Boote, die laut Politikmehrheit dringend der Runderneuerung bedürfen. Kosten für den Steuerzahler: 31 Milliarden Pfund.

Nach Expertenschätzungen wird das Ganze aber noch teurer. So fehlen dem Vereinigten Königreich derzeit die Ressourcen zur Erneuerung des Atomwaffenarsenals, wie beim Dalton Nuclear Institute der Universität Manchester, das sich als führende Forschungs- und Ausbildungsstätte für Atomenergie bezeichnet. nachzulesen ist. Deshalb wolle man nun die notwendigen Forschungs- und Entwicklungsaufgaben in den zivilen Bereich – also HPC und anvisierte weitere AKWs – auslagern, legt die SPRU-Studie mit dem Titel „Die Intensität des britischen Festhaltens an Nuklearenergie verstehen“ (Understanding the Intesity of UK Policy Commitments to Nuclear Power) nahe. Ein militärisches Strategiepapier spricht sogar ausdrücklich von der Möglichkeit, manche Kosten der atomaren U-Bootkapazitäten hinter Ausgaben für die zivile Atomnutzung zu „verstecken“. Als Beispiele für die Durchlässigkeit zwischen zivilem und militärischem Bereich nennt der Atom-U-Boot-Konstrukteur Rolls Royce die Anlagenelektronik, Radiophysik oder Strömungstechnik.

Tony Blairs 180-Grad-Schwenk

Die Forschergruppe der Universität Sussex ist der Ansicht, dass Hinkley Point C ohne diesen Aspekt nicht gebaut würde. Im Weißbuch von 2003 zur künftigen Energieversorgung verwarf Tony Blairs New-Labour-Regierung Atomstrom als „unattraktiv“ und „zu teuer“. Das Land, das durch seine Insellage über hervorragende Windstandorte an Land und vor der Küste verfügt, solle „stattdessen Erneuerbare und Energieeffizienz fördern“.

„Zwei Jahre später hatte der damalige Premierminister Tony Blair seine Meinung über Atomkraft geändert, obwohl es keine neuen Erkenntnisse gab“, so Dr. Phil Johnstone vom SPRU gegenüber der Tageszeitung The Guardian vom 7. August 2016. Nach dem „atomkraftfreien“ Weißbuch von 2003 hatten Militärstrategen und Verteidigungspolitiker augenscheinlich die Ansicht durchgesetzt, dass die Atom-U-Boot-Flotte erneuert werden müsse.

Atom-Staat im Staat: an der Demokratie vorbei

London äußert sich nicht zu der Studie. Koautor Andy Stirling erklärt das folgendermaßen: „Die Regierung will mit der Brechstange den Eindruck erwecken, bei Hinkley ginge es um Energie.“ Mit jeglichem Kommentar „würde sie schlafende Hunde wecken“. Daher werde eine Diskussion dieser militärisch-zivilen Verflechtung „in den Medien und in amtlichen Dokumenten vermieden“. So komme es überhaupt zu „keiner breiteren öffentlichen Debatte“. Das „wirft ernstlich die Frage auf, wie es um Transparenz und Rechenschaft bei der Entscheidungsfindung in diesem Bereich bestellt ist. Und stellt letztlich die Qualität der britischen Demokratie in Frage.“

Wenn Anfang 2017 die SPRU-Studie (immerhin) im Unterhaus vorgelegt werden soll, sind die Entscheidungen längst gefallen. 


Quellen:

Ralf Sotschek, taz vom 23.11.2016: Hidden Money für Atom-U-Boote

Eva Stegen, Klimaretter.Info vom 31.08.2016: Ein AKW zur atomaren Abschreckung

Phil Johnstone/Andy Stirling, The Guardian vom 07.08.2016: Shining a light on Britain's nuclear state

Science Policy Research Unit (SPRU), University of Sussex: British attachment to nuclear submarines drives bias towards expensive nuclear power

Fotocredit: Mihail Mokrushin / sputniknews.com