PINC - Übles Spiel mit der Sicherheit
Am 4. April 2016 veröffentlichte die europäische Kommission (EK) das sogenannte "Hinweisende Nuklearprogramm" (Communication on a Nuclear Illustrative Programme - PINC) - das erste seit dem Fukushima Super-GAU in Japan. Die Kommission ist gemäß Kapitel 4, Art. 40, des EURATOM-Vertrages* dazu verpflichtet, regelmäßig ein neues PINC zu erstellen. Das PINC 2016 deckt alle Aspekte der zivilen Atomprogramme der EU ab, wobei der Fokus auf damit verbundenen Investitionen bis ins Jahr 2050 liegt.
In den ohnehin stark pro-atomaren Nachrichten des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) vom 15.4.2016 kommentiert Korrespondent Thomas A. Friedrich** folgendes zum jüngsten PINC:
Verpflichtende Haftpflichtversicherung für Betreiber passé
„Eine verpflichtende Haftpflichtversicherung für die Betreiber von Kernkraftwerken (KKW) zur Abdeckung zukünftiger Schäden durch betriebsbedingte Störungen oder Unfälle ist vom Tisch. Was der damalige EU-Energiekommissar Günther ÖTTINGER im Lichte der Fukushima-Katastrophe nach den sogenannten Stresstests aller KKW einst gefordert hatte, kassiert die EU-Kommission jetzt wieder. (...) Aus dem Forderungskatalog des Anfang April vorgestellten Nuklearreports ist Oettingers Vorstoß gestrichen." Das bedeutet, sogar der deutsche Pro-Atom-Politiker Günther Oettinger war der übrigen bzw heutigen EU-Kommission noch zu streng mit der Atomwirtschaft!
Laufzeitverlängerungen + Sicherheit?
Ganz im Gegensatz zur zentralen Aussage der Kommissionsaussendung (Generaldirektion Energie) lege dieser Bericht "den Schwerpunkt auf die Investitionen im Zusammenhang mit Sicherheitsverbesserungen im Anschluss an den Unfall in Fukushima und mit dem sicheren Betrieb vorhandener Anlagen", stellt der VDI-Korrespondent fest: "Sicherheitsfragen werden de facto zurückgedrängt." Der PINC-Report "lässt unkommentiert beides nebeneinander stehen", nämlich die anvisierten Laufzeitverlängerungen einerseits und deren negative Implikationen für die Sicherheit andererseits. "Für die Hälfte der Reaktoren in der EU befürwortet die EU-Kommission eine Verlängerung von 40 auf bis zu 60 Jahre. Aber selbst diese Strategie schützt die KKW-Betreiber nicht vor einem riesigen Investitionsvolumen für die Sicherheit, wie die EU in demselben Papier selbst bestätigt. Es seien 450 bis 500 Milliarden Euro bis zum Jahr 2050 nötig. Der Abriss alter KKW und das Atommüllmanagement verschlängen weitere 253 Milliarden Euro, so der Bericht. Die Betreiber der in 12 EU-Staaten am Netz befindlichen KKW haben aber bisher gerade einmal Rückstellungen für rund die Hälfte dieser Folgekosten gebildet.
Mit diesem gigantischen Investitionsstau bei der Anlagensicherheit lässt die EU-Kommission die Betreiber, aber auch Europas Bürger allein, denn Geld aus Brüssel gibt es nicht. Sie vergisst aber nicht zu betonen, dass die Mitgliedstaaten, die auf die Kernkraft setzten, gehalten seien, die höchsten Standards sicherzustellen. Ein übles Spiel.“
Denn die EK vertritt de facto ein Ziel und dessen Gegenteil: mit mehr Unsicherheit (riskante Laufzeitverlängerungen zwecks Verlustvermeidung) soll mehr Sicherheit (Investitionen in Nachrüstungen) erkauft werden!
Neubau als Ziel
Dazu kommt noch das PINC-Ziel von 80 Gigawatt neuer Nuklearkapazität (80 AKWs mit 1.000 Megawatt Leistung) in der EU bis 2050. Womit sich die Finanzierungskluft noch viel weiter auftut. Damit leistet PINC bzw. die Kommission den Bestrebungen der Atomstaaten Vorschub, ihre Nuklearwirtschaft mit offenen Subventionen am Leben zu erhalten (siehe das weithin bekannte Modell: AKW Hinkley Point C in Großbritannien). Ganz zu schweigen vom anhaltenden Sicherheitsrisiko und der Vermehrung des Atommülls. Ganz zu schweigen vom militärischen Weiterverbreitungsrisiko, zumal auch Reaktoren der Generation IV unter „den Neuen“ sein sollen - am ehesten in Gestalt einer Neuauflage der gescheiterten Schnellen Brüter/Plutoniumreaktoren.
Resümee: energiepolitische Traumtänzerei
Welche energiepolitische Traumtänzerei hier - seit Jahren - in der EU-Exekutive aufgeführt wird, kann man daran ablesen, dass auch der vorangegangene PINC-Bericht aus dem Jahr 2007 einen massiven AKW-Ausbau prognostiziert bzw. zum Ziel erklärt hatte. Jedoch kam seitdem kein Reaktor neu ans Netz, es wurde kein neuer Reaktorbau begonnen und seit Flamanville-3 (2007) kein neuer Reaktor bestellt. Und: heute sind immerhin 21 Reaktoren weniger in Betrieb!
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* Kapitel 4, Absatz 40, EURATOM-Vertrag:
"Um die Initiative der Personen und Unternehmen anzuregen und eine abgestimmte Entwicklung ihrer Investitionen auf dem Kerngebiet zu erleichtern, veröffentlicht die Kommission in regelmäßigen Abständen hinweisende Programme, insbesondere hinsichtlich der Ziele für die Erzeugung von Kernenergie und der im Hinblick hierauf erforderlichen Investitionen aller Art."
** Der Kommentar von Thomas A. Friedrich mit dem Titel "Übles Spiel mit der Sicherheit" erschien in den VDI Nachrichten vom 15.4.2016, Nr. 15, S. 6.
HIER finden Sie die Communication on a Nuclear Illustrative Programme vom 4. April 2016.
Weiterführende Artikel:
WISE/NIRS Nuclear Monitor vom 21.4.2016, Nr. 822, S. 6-9. The steady decline of nuclear power in Europe. Amsterdam.
Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 4.4.2016. Kommission legt hinweisendes Nuklearprogramm (PINC) vor. Online:
http://europa.eu/rapid/press-release_IP-16-1202_de.htm
MARIGNAC, Yves/BESNARD, Manon. PINC 2016 – the Nuclear Illusory Programme. Im Auftrag der Fraktion Die GRÜNEN/Europäische Freie Allianz (EFA) im Europaparlament. WISE-Paris. Online:
http://www.greens-efa.eu/pinc-2016-15348.html